Atemlos sitze ich im Line-up. „Scheiße, man“, geht mir wirklich als erstes durch den Kopf. Meine Arme brennen, mein Mund schmeckt nach Salzwasser, mein Rachen brennt. Meine Kondition ist offensichtlich jenseits von Gut und Böse. Die Leash (das Ding, womit das Board an meinem Knöchel verbunden ist) hat in den vergangenen Waschgängen so an meinem Fuß gezerrt, dass die Haut dort rot wird und brennt.
Offensichtlich fehlt es mir an Kondition. Deshalb kriege ich jetzt schon nach 15 Minuten Paddel-Action keine Luft mehr und frage mich, was ich hier eigentlich mache. Im saukalten Ozean. Mit einem Brett. In einem Anzug. Die erste der Fragen kommt mir zugegeben öfter. Wahrscheinlich stellt man sie sich generell im Leben das ein oder andere Mal. Die Antwort ist mal mehr, mal weniger einfach.
Immerhin: Auf meinem Weg ins Wasser habe ich mich nicht von der durch die anrollenden Monster-Wellen aufkommenden Panik überwältigen lassen, sondern brav abgewartet.
Timing entscheidet: Wellen kommen in Sets, also immer ein paar hintereinander, dann ist kurz Pause. Und dann paddelt man besser los, sofern man irgendwann weiter hinten ankommen will.
Adrenalin ist notwendig, damit der Körper „performt“. Panik entzieht die Energie, die ich für diese Performance brauche. Adrenalin für den Moment okay, Panik nicht. Immerhin das kann ich mittlerweile – wenn auch eher grob.
Jetzt ist alles ruhig. Ich sitze in der „Sicherheitszone“. Fast entspannt, wie auf einem riesengroßen dunkelblauen fliegenden Teppich. Die Wellen bauen sich auf und wiegen mich auf meinem Board hin und her. Hinter mir höre ich sie donnernd brechen, denn sie sind heute größer als meine Komfortzone.
Nun könnte man sich fragen, warum ich überhaupt erst rausgepaddelt bin. Warum ich nicht nach der dritten Wellen-Waschmaschine eingesehen habe, dass heute vielleicht nicht der Tag ist, um sich seinen Ängsten zu stellen und persönliche Grenzen zu verschieben.
Die Antwort ist bei mir einfach: Wenn ich danach gehe, wann der richtige Tag ist, mache ich es nie. Das gilt für die Steuererklärung oder Zahnarzt-Termine genauso wie für größere Wellen. Um mit der Angst leben zu können, muss ich mich daran gewöhnen. Deshalb sitze ich hier. Den Kalenderspruch “You can’t stop the waves but you can learn to surf”, erspare ich uns an dieser Stelle.
„Es wird besser werden“, rede ich mir gut zu. In diesem Moment muss ich an meine Steuererklärung denken, die ich seit Jahren auf den letzten Drücker erledige (und jedes Jahr artet es in einer Katastrophe aus) – und muss kurz lachen. An manches gewöhnt man sich vielleicht doch nie.
Also bleibe ich erstmal sitzen. Beobachte. Fokus auf den Moment und so.
Und Surprise: Desto länger ich da so rumsitze und medium-professionell von links nach rechts paddele (immer schön dort, wo keine Welle bricht), desto mehr gewöhne ich mich an die Situation.
Natürlich bleibt die Angst, es könnte jeden Moment eine Monster-Welle aus dem Nichts auftauchen und über mir zusammenbrechen (es wäre nicht das erste Mal). Schließlich sitze ich in einem Ozean, einer letztlich wenig kontrollierbaren Naturgewalt. Aber in diesem Moment bleibt mir nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass ich die Monster-Welle früh genug bemerken würde oder dass – falls es passiert – ich mit der Situation umgehen kann (stellt euch an dieser Stelle gerne ein leichtes ironisches Schmunzeln vor).
Irgendwann wird mir allerdings eine Sache klar (Achtung, jetzt passiert ganz große Logik): Wenn ich jemals wieder wieder zurück an den Strand will, brauche ich dazu wohl eine Welle.
Also paddele Richtung der sich aufbauenden Wasserwand …
Die ersten beiden Male kneife ich und ziehe mein Board im letzten Moment zurück. Der Schaum klatscht mir ins Gesicht: Feigling!
Die dritte Welle paddele ich an, nehme Fahrt auf, schaffe es in die Welle und stehe auf. Ich freue mich – leider etwas zu früh – denn ich drehe das Board nicht rechtzeitig zur Seite um die Welle abzureiten, der Schaum der brechenden Welle bringt mich ins wanken, und ich falle in die kalte Waschmaschine.
Eine Welle nach der anderen spült mich näher an den Strand, ich verliere das Gefühl für oben und unten, und mir bleibt nicht viel übrig als meinen Kopf zu schützen und das Beste zu hoffen. Wie war das nochmal? Hier, dings … bloß keine Panik.
Als ich mich aus dem Wasser schleppe, bin ich mittel-enttäuscht, aber glücklich (das ist das fiese am Surfen, es bringt einen an den Rande des emotionalen Wahnsinns und man paddelt doch wieder raus …).
Fast könnte man meinen, ich will einen Anti-Surf-Beitrag schreiben, aber das ist natürlich überhaupt nicht das Ziel. Das Ziel ist, zu zeigen, worum es beim Surfen (auch) geht:
Um Timing, Geduld, und Durchhaltevermögen. Es geht darum, mit Ängsten umzugehen und Panik zu kontrollieren. Deshalb ist Surfen auch ein extremer Sport, nicht nur körperlich.
Und was ist jetzt mit den unbeschreiblichen Glücksmomenten, wenn alles stimmt, und die softe Baby-Welle mich bei bestem Wetter bis an den Strand trägt, mit fröhlicher, hawaiianischer Musik im Hintergrund? Die gibt’s natürlich auch. Sie sind theoretisch das Ergebnis von Timing, Ruhe bewahren, sich selbst motivieren und der nötigen Fitness. Mit Theorie hat es der südfranzösische Atlantik nur leider nicht so.
Für mich ist Surfen eine der besten Sportarten, die mich auf körperlicher, emotionaler und psychischer Ebene immer und immer wieder herausfordern und stärken.
Enjoy
Tina

























